- Ein bißchen Mathematik...

Vorab kurz die "Roadmap" dorthin:

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, daß der mathematisch ausdauernde Leser dieselben Schritte für viele andere Prozesse als nur den Erlangprozeß fast 1:1 für deren Herleitung übernehmen kann (und die mathematischen Pfeifen haben sich ja eh nicht bis auf diese Seite vorgetraut...)

Fangen wir also mit dem Poissonschen Ankunftsprozeß an: Dieser Prozeß ist die mathematische Modellierung eines zeitlich homogenen Stromes von Ankünften in einem System (seien es Telefonate in einem Telefonsystem, Kunden an einer Supermarktkasse oder Autos an einer Kreuzung, etc.).
Geht man davon aus, daß diese Ankünfte voneinander unabhängig sind, so kann man nach der mathematisch zugrundeliegenden Funktion fragen, welche die Anzahl solcher Ankünfte pro Zeiteinheit (z.B. pro Viertelstunde) beschreibt.
Aber zuvor ein kleiner Einwurf: Ist die Annahme der Unabhängigkeit von Ereignissen in der Praxis sinnvoll? -Radio Eriwan meint dazu: Im Prinzip ja, denn wenn Hein Müller in Buxtehude telefoniert und Knutilde Knödel in Oberursel ebenfalls, dann hat dies meistens keinerlei Bezug zueinander. Es gibt zwar Ausnahmen, z.B. am 1.1. -dem "D-Day" einer jeden Telefongesellschaft-, wenn alle Welt seltsamerweise gleichzeitig den Drang verspürt, nachts um 0:00h Telefoneinheiten verbraten zu müssen, aber diese seltenen Fälle stören uns hier nicht weiter.

Natürlich ist diese erwähnte Funktion ein Zufallsprozeß, aber stellte man tatsächlich ein armes, unterbezahltes Schw*** einmal einen Tag lang mit der Stoppuhr und einem Blatt Papier hin, über die Häufigkeitsverteilung gleichzeitiger Ankünfte pro Zeiteinheit eine Strichliste zu führen, so käme dabei eine charakteristische Funktion heraus, die in etwa so aussähe:
Poissonverteilungsfunktion

[Ein bißchen Überlegen bringt einen dazu, daß man diese Art Verlauf eigentlich auch intuitiv erwartet hätte, wenn man sich denn nur die Mühe gemacht hätte, vorher darüber nachzudenken: Die Wahrscheinlichkeit, daß sehr wenige oder gar keine Ankünfte in einem bestimmten Zeitraum stattfinden, ist gering; die Wahrscheinlichkeit, daß sehr viele bis hin zu unendlich vielen Ankünlfte in denselbem festen Zeitraum stattfinden, wird auch immer geringer und geht schließlich gegen Null; irgendwo dazwischen muß dann natürlich ein Maximum liegen.]

Dem Mathematiker ist diese Funktion wohlbekannt: Es ist die sog. Poissonverteilungsfunktion P;k(t) = (lambda*t)^k/k!*exp(-lambda*t)
(und wieder einmal ist damit ein System gefunden, in dem die Natur auf wundersame Weise eine ihrer beliebten Exponentialfunktion versteckt hat...).
Dabei ist Lambda eine prozeßabhängige Größe, die als Ankunftsrate (oder Intensität) bezeichnet wird.

--So, Schritt zurück und kurze Zusammenfassung, um das Gehirn zu entknäueln: Wir haben nun also eine Formel gefunden, welche die Wahrscheinlichkeit P ausdrückt, mit der in einem Zeitraum t gerade k Ankünfte (Telefonate, Supermarktkunden, Autos, ...) in einem System mit einer Ankunftsrate von Lambda Ankünften stattfinden (wer noch um eine Veranschaulichung für diese Ankunftsrate ringt: Für Poissonprozesse ist diese identisch zum mittleren Abstand zwischen zwei Ankünften).
-Na toll, und wie weiter? Nun, für einen Augenblick vergessen wir kurz die gefundene Formel und werfen einen Blick über den Zaun hinüber ins Spielfeld der Informatiker:



Markov-Ketten

Was das schon wieder ist? -Nun, Markov-Ketten sind das, was dabei herauskommen dürfte, wenn man drei Theoretiker -einen Informatiker, einen Nachrichtentechniker und einen Mathematiker- zusammen mit einem Blatt Papier und Bleistift für eine Stunde irgendwo einsperrt...
Nein, im Ernst: Die Informatik kennt den endlichen Automaten als anschauliches Beschreibungsmittel für eine Vielzahl von Problemen: Ein solcher Automat besteht vereinfacht gesprochen aus Zuständen und Übergängen, die beschreiben, wie das System von einem Zustand aus in einen anderen wechseln darf und was beim Übergang passiert.

Paßt man dieses prinzipielle Konzept ein bißchen an, indem man die Übergänge von einem Zustand in den nächsten mit den entsprechenden Übergangswahrscheinlichkeiten (oder äquivalent dazu: Den Zustandsübergangsraten) bezeichnet und die Wahrscheinlichkeiten dafür einträgt, daß sich das System jeweils in den einzelnen Zuständen befindet, dann ist man schon beim sog. stochastischen Automaten der Nachrichtentechnik angelangt:

Markov-Automat

Wenn -wie oben bereits gezeichnet- Zustandsübergänge nur in "benachbarte" Zustände möglich sind, hat man den Sonderfall der Markov-Kette -voilà, in dem Augenblick wird unser Mathematiker munter, brabbelt etwas von "stationärem Gleichgewicht", krallt sich das Blatt Papier und kritzelt ein paar Gleichungen hin, um die Pk zu berechnen:

Tatsächlich ist nach dem ganzen Vorgeplänkel die Sache nicht mehr allzu schwierig: Wenn wir obiges Diagramm als Darstellung des Auslastungsgrades eines Telefonnetzes interpretieren, wobei die numerierten Zustände die Anzahl der gleichzeitig im System befindlichen Teilnehmer darstellen, dann sind Übergänge x->x+1 hinzukommende, neue Gespräche und umgekehrt entspricht ein Übergang x+1->x jeweils einem beendeten Gespräch. Die Pk(t) sind dann die Wahrscheinlicheiten dafür, daß zu einem Zeitpunkt t gerade k Gespräche stattfinden sollten -wenn, ja, wenn denn nur dieses Telefonnetz für eben jene k gleichzeitigen Gespräche auch immer genügend Kapazitäten hätte!.

Wenn wir diese Pk aber kennen, dann können wir zumindest eine handfeste Dimensionierung der Netzkapazitäten vornehmen: Wollen wir erreichen, daß im Mittel zum Zeitpunkt t bspw. 95% aller theoretischen Gespräche auch realisiert werden können, so muß k mindestens so groß gewählt werden, daß Pk(t) höchstens 5% beträgt -denn dies heißt ja nichts anderes, als daß sich das System in max. 5% aller Fälle in einer Situation befindet, in der alle vorhandenen k Leitungen belegt sind, so daß ein dann noch neuhinzukommendes Gespräch mangels Kapazität nicht mehr bedient werden kann.

Nun zum bereits erwähnten stationären Gleichgewicht: Es ist vernünftig, davon auszugehen, daß die Zahl der neubegonnenen Telefonate je Zustand in etwa gleich der Anzahl der in diesem Zustand beendeten Telefonate ist (wäre dem nicht so, dann gäbe es nach kurzer Zeit entweder überhaupt keinen Telefonierer mehr im System -oder aber zig Millionen, was die Realität unseres geizigen Hausmeisters und seines Wohnsilos offensichtlich beidemale ziemlich schlecht wiedergeben würde...).
Betrachten wir darüberhinaus immer denselben Zeitpunkt (Erinnerung: Wir wollten uns eh nur auf die "Busy Hour" beschränken!), dann kann t entfallen, und alles eben gesagte läßt sich mathematisch wie folgt zusammenfassen:

  1. lambda[0]*P[0] = mu[1]*P[1]
    Das ist die Stationärbedingung wie man sie für den allerersten Zustand aus dem obigen Zustandsdiagramm ablesen kann: Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich das System aus dem Zustand "Es telefoniert überhaupt niemand" in den Zustand "Es telefoniert einer" bewegt ist genausogroß, wie die umgekehrte Richtung.
  2. lambda[i-1]*P[i-1] + mu[i+1]*P[i+1] = mu[i]*P[i] + lambda[i]*P[i] (für i=1..N-1, also für alle "inneren Zustände")
    Das ist wieder die normale Stationärbedingung: Die Zahl der je Zustand neubegonnenen und beendeten Gespräche halten sich im Mittel die Waage.
  3. lambda[N-1]*P[N-1] = mu[N]*P[N]
    Das ist nochmals die Stationärbedingung für den letzten Zustand aus obigem Zustandsdiagramm.
  4. Summe_i=0..N(P[i]) = 1
    Das ist der simple "Satz der totalen Wahrscheinlichkeit": In irgendeinem der Zustände des Diagramms muß sich das System ja befinden, wenn es die Realität wiedergeben soll.

Wie man (nicht...) leicht sieht, folgert aus obigen vier Gleichungen:

(Wen's interessiert: Die Herleitungen dazu, Achtung, Mathematik! )

--Huch, sieht das schrecklich aus, aber wie bereits eingangs gesagt, wollten wir ja bewußt zunächst die allgemeinen Formeln herleiten und uns dann auf den einfachen Erlang-Prozeß spezialisieren -also schön cool bleiben:



Der Spezialfall "Erlang"

Jetzt ist wieder eine kurze Verschnaufpause fällig:

Nun müssen wir diese Puzzlesteine nur noch zusammensetzen: Dazu gilt es herauszufinden, welche Vereinfachungen die Erlang-Annahme in obigen Formeln erlaubt und diese dann nach Pk aufzulösen: Das so gefundene k ist dann zugleich die Anzahl der zu realisierenden Telefonleitungen, d.h.: In der Praxis "schneiden" wir das obige Zustandsdiagramm rechts dieses k komplett ab, setzen also k = Nneu (mit der Konsequenz, daß Situationen mit mehr als N gleichzeitig sprechenden Teilnehmern damit mangels Kapazität nicht mehr möglich sind: Der Kunde kann dann eben nicht telefonieren).
Ergo:

Einfaches Einsetzen dieser drei Vereinfachungen in obige Formeln für Pk und P0 liefert dann aber sofort die Erlang-B-Formel:
( (lambda/mu)^N/N! ) / (Summe_i=0..N( (lambda/mu)^i/i! ))

(In der üblichen Form wird dabei nur der Quotient lambda/mü als Konstante A zusammengefaßt)

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Kai Rohrbacher kairo@maya.inka.de
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